Der Geist der Gängelung geht um

Freiheit lebt von der Möglichkeit der Abweichung von der Norm

In seinen eigenen vier Wänden darf der Bürger fast alles machen. Er darf auf die Regierung und die Opposition schimpfen, er darf den Austritt aus der Nato fordern und die amerikanische Nahost-Politik kritisieren, und er darf über die Frisuren von Bundeskanzlern sagen, was er denkt. Doch er soll ein schlechtes Gewissen haben, wenn er das Kinder- und vielleicht bald ein Betreuungsgeld so umschichtet, dass er sich eine Flasche Wein zusätzlich leistet. Er darf (bald) seine Firma nicht mehr an ausländische Investoren verkaufen, wenn die auf einer Liste strategisch wichtiger Unternehmen steht. Und er darf in seinen Zimmern nicht mehr zur Zigarette greifen und greifen lassen, wenn er draußen ein Schild aufgehängt hat, es handele sich um ein Restaurant. Der Geist der Gängelung geht um und erfasst – wie vieles – den persönlichen Alltag und das Geschäftsleben, Privates und Öffentliches.

Alles hängt mit allem zusammen. Edmund Stoiber, bayerischer Ministerpräsident, möge sich deshalb nicht wundern, dass Familienministerin Ursula von der Leyen sich, wie er findet, mit ihren Vorschlägen zum Betreuungsgeld (Gutscheine für Kindermalkurse statt Betreuungsgeld) in die Familienerziehung einmischen und Eltern bevormunden will. Der von Stoiber selbst eingeführte Begriff «Betreuungsgeld» signalisiert symptomatisch, worum es geht: Der Staat bezahlt Eltern für deren Erziehungsleistung. Auch bei anderen Subventionstatbeständen macht der Staat den Empfängern Vorschriften für deren Verwendung: Wer zahlt, bestimmt die Musik.

Eltern sollen das Betreuungsgeld für Sprachkurse der Kinder verwenden, statt es für nutzloses Zeugs auszugeben. Leistungssportler bekommen vorgeschrieben, wo die Grenze zwischen erlaubter Medizin und unerlaubtem Doping zu verlaufen hat. Sie sollen öffentlich geächtet und wahrscheinlich auch in Deutschland bald von Staatsanwaltschaften drangsaliert werden – ganz so, als ginge es den Staat etwas an, welche Regeln sich die Privaten beim Umgang untereinander geben.

.Text: F.A.Z., 18.08.2007, Nr. 191 / Seite 1

Leitartikel von Günter Bannas

Carolus Magnus

Freidenker, Rebell und Nonkonformist schreibt provokativ, konzis, unkonventionell und unmißverständlich über/gegen das grassierende, genußfeindliche, puritanische Weltbild in unserer Gesellschaft. Stilmittel: Satire, Provokation, Humor, Karikatur und knallharte Facts. Ein MultiMediaMagazin für Jeden.

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3 thoughts on “Der Geist der Gängelung geht um

  1. «In seinen eigenen vier Wänden darf der Bürger fast alles machen. Er darf auf die Regierung und die Opposition schimpfen, er darf den Austritt aus der Nato fordern und die amerikanische Nahost-Politik kritisieren, und er darf über die Frisuren von Bundeskanzlern sagen, was er denkt»
    Aber nur solange die Aussagen «politisch korrekt» sind und solange MeinungsÄUSSERUNGSfreiheit herrscht.

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