Bundesgericht: Information oder Propaganda?

Staatsinformation oder Behördenpropaganda?

Von Prof. Dr. iur. Hansjörg Seiler, Universität Luzern, stv. Bundesrichter 2002-2005

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Heute kommt der Propaganda-Feind von innen!

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Das Thema der Staatsinformation kommt nicht zur Ruhe. Verschiedene parlamentarische Vorstöße haben sich in letzter Zeit mit der Frage befaßt, ob die Behörden – namentlich im Vorfeld von Volksabstimmungen – aktiv für oder gegen bestimmte Vorlagen kämpfen sollen. Eine Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» hat zum Ziel, dem Bundesrat und der Bundesverwaltung Informations- und Propagandatätigkeit weitgehend zu verbieten. Die staatspolitische Kommission des Nationalrates will mit einer Motion den Bundesrat beauftragen, den Entwurf einer gesetzlichen Regelung über die Informationsbefugnisse von Bundesrat und Verwaltung bei Abstimmungskampagnen präziser zu fassen. Die Frage, welche Rolle die Regierung im Zusammenhang mit Volksabstimmungen einnehmen soll, hat das Bundesgericht (bei der Beurteilung von Abstimmungsbeschwerden bezüglich kantonaler Abstimmungen) und die Staatsrechtslehre schon wiederholt beschäftigt. Sie steht in einem engen Zusammenhang mit grundlegenden staatsrechtlichen und demokratietheoretischen Konzeptionen sowie mit der Ausgestaltung des politischen Systems.

Bisherige Auffassungen

Ausgangspunkt ist die verfassungsmäßige Garantie der freien Willensbildung und der unverfälschten Stimmabgabe (heute Art. 34 Abs. 2 BV). Aus diesem Verfassungsgrundsatz hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung bis vor etwa zehn Jahren gefolgert:

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  • «Die Freiheit der Meinungsbildung schließt grundsätzlich jede direkte Einflußnahme der Behörden aus, welche geeignet wäre, die freie Willensbildung der Stimmbürger im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen zu verfälschen» 2.

  • «Danach soll behördliches Eingreifen […] nicht zur Regel werden, sondern sich auf jene Fälle beschränken, in denen triftige Gründe für ein Tätigwerden der Behörden sprechen» 3.

  • «Kein triftiger Grund kann in der Absicht gesehen werden, die Stimmbürger zur Annahme einer Abstimmungsvorlage zu bewegen » 4.

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Diese Rechtsprechung entsprach im Wesentlichen auch der herrschenden Lehre. Seit dem Beginn der 1990er Jahre wird in der Lehre 5 und zum Teil auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine aktivere Rolle der Behörden als zulässig oder gar erwünscht betrachtet. 1995 führt das Bundesgericht aus, es sei Aufgabe der Regierung «de diriger la collectivité»; man müsse der Regierung das Recht und sogar die Pflicht zuerkennen, außerhalb der Abstimmungsperiode in die politischen Debatten einzugreifen. Erst im Vorfeld einer Volksabstimmung müsse sich die Behörde jeglicher Beeinflussung enthalten, um der Bevölkerung eine unabhängige Entscheidung zu ermöglichen 6. Offen bleibt dabei die Frage, wann der Abstimmungskampf beginnt, also von welchem Moment an sich die Behörden zurückhalten müssen.

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Quellen und Referenzen

1 Gekürzte Fassung eines Artikels, der in der Festgabe Thomas Fleiner, Freiburg 2003, erschienen ist.

2 BGE 117 Ia 41 E. 5a.

3 BGE 112 Ia 332 E. 4d.

4 BGE 114 Ia 427 E. 4c.

5 Vor allem Gion-Andri Decurtins, Die rechtliche Stellung der Behörde im Abstimmungskampf, Freiburg 1992, S. 229 ff. ; Georg Müller, Die Behörden im Abstimmungskampf : vom Neutralitätsgebot zur Teilnahmepflicht, in : Fs. Aubert, Basel und Frankfurt 1996, S. 255 ff. ; differenzierter auch Michel Besson, Behördliche Information vor Volksabstimmungen, Bern 2003, S. 154 ff.

6 BGE 121 I 252 E. 2 und 3 S. 256 ff.

Carolus Magnus

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