Warum soll meine Lunge älter werden als ich?

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Lebenslust

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«Bei Fitneß stellt man die Entbehrungen selber her, bei Wellneß erleidet man sie.»

Der renommierte Psychologe, Facharzt für Psychiatrie, Theologe und Essayist Manfred Lütz lebt in Köln. Er ist Chefarzt eines psychiatrischen Krankenhauses und als Experte in Hörfunk und Fernsehen bekannt. Darüber hinaus ist er als Berater großer Wirtschaftsunternehmen tätig.

Soziokulturelle Schlüsseltrends interessieren Wirtschaft und Gesundheitswesen. Die einen organisieren Seminare zum «Megatrend Gesundheit», die anderen entdecken eine «neue Pragmatik des Glücks». Staunend hören wir die «Alphabotschaft » aus dem Kadermarkt der Schweiz, wonach Glück und Lebenskompetenz mess- und erlernbar sind und der «World Happiness Index» allen Individuen, Städten, Regionen und Unternehmen zum richtigen Leben verhilft. Genuß und Gesundheit vereinigen sich zum innovativen Angebot der Märkte von morgen, notabene «gegen die massiven Widerstände der hiesigen Kultur- und Zukunftspessimisten».

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Wie wohltuend ist es da, wenn ein Mediziner und Psychiatriechefarzt die heiligen Kühe der neuen Erlösungsreligionen zu schlachten verspricht. Als redegewandter Polemiker ist Dr. med. et theol. Manfred Lütz bei Radio und Fernsehen ein gerne gesehener Gast. Mit Humor und Satire attackiert er die Auswüchse der Fit-for-Fun-Ideologie und wettert lustvoll gegen einen Körperkult, den er mit den Ritualen der Kirche vergleicht. Manfred Lütz schwelgt in einem langen Sündenregister, das kaum einen Bereich des Lebens ausläßt, spricht von der Prozessionstradition (Chefarztvisite), vom Esoterikboom (Plastikreligionen, Buddhismus aus der Dose), von neuen Blasphemietabus (Rauchen), von Bussübungen (Diäten, Städtemarathon) und zeitgemässen Kapellen (Fitneßstudios).

«Bei Fitneß stellt man die Entbehrungen selber her, bei Wellneß erleidet man sie.» Der Chef des psychiatrischen Alexianer Krankenhauses in Köln ist scharfsinnig, wenn es darum geht, die falschen Versprechungen der medizinisch verbrämten Glücksindustrie bloßzulegen oder aufzuzeigen, wie die Gesundheitsreligion zunehmend zur ruinösen Staatsreligion mutiert.

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Anorektische Barbie – der neue Gesundheitswahn!

Den alten Griechen und nichtchristlichen Religionen verbleiben einige wenige Körnchen Weisheit, Sexualfeinde seien immer konsequent aus der Kirche ausgeschlossen worden, die viel zitierte Leibfeindlichkeit ein Produkt von Reformierten und emanzipierten Bürgern des 19. Jahrhunderts. An Stelle der guten, alten, prallen Sinnlichkeit («Nacktheit, wohin das Auge reicht») blüht die moderne Pornoindustrie. Drewermann und Konsorten sind ihm ein Greuel, dafür wird den offiziellen Heiligen viel Platz eingeräumt. Am Kunststil der Gegenreformation und des Absolutismus ist das richtige Leben zu messen, denn so wie im Barockzeitalter hätte es ruhig bleiben können. Dort ist die Lebenslust beheimatet, erlebbar noch beim Schmausen mit Blasmusik am Wallfahrtsort oder im bayrischen Herrgottswinkel einer beliebigen Dorfkneipe, wo unter dem Bild des Gemarterten am Kreuz lustvoll und mit Spaß bis in den Morgen hinein gezecht wird.

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«Unsere Vorfahren bauten Kathedralen, wir bauen Kliniken. Unsere Vorfahren retteten ihre Seele, wir retten unsere Figur. Keine Frage, wir haben eine neue Religion: die Gesundheitsreligion.»

Vor lauter Fitneßkult und Selbstkasteiung haben wir schon fast vergessen, was das Leben ausmacht. Höchste Zeit für die Verteidigung der Lust, höchste Zeit, etwas gegen den Gesundheitswahn zu tun! Scharfsinnig und unterhaltend analysiert der renommierte Psychotherapeut und begnadete Essayist Manfred Lütz, wie Gesundheit zu einer fundamentalistischen Religion geworden ist, und feuert satirische Breitseiten auf das übertriebene Streben nach Hyper-Fitneß und einem Alter ohne Falten. Vor allem aber setzt Lütz an die Stelle der heiligen Kuh »Gesundheit« ein ganzheitliches Konzept, bei dem der Spaß am Leben nicht länger ein künstliches Produkt der Gesundheitsindustrie ist.

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Body-Building Folterkammer

Mit verbissenem Ernst unterziehen wir uns Wahnsinns-Diäten, bräunen uns den Krebs in die Haut, laufen uns die Lunge aus dem Leib. Und immer noch haben wir das Gefühl: Du siehst nicht gut genug aus! Manfred Lütz› Polemik auf den Gesundheitswahn ist eine scharfzüngige Anklage gegen das übertriebene Streben nach Fitneß, gegen das Altern ohne Falten und den Diät-Terror. Denn die verbissenen Apostel des gesunden Lebens, die Fitneßgurus und Hohepriester der ewigen Schönheit – sie alle verderben uns schlicht die Lebenslust.

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Manfred Lütz. Lebenslust, wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitneß-Kult. München: Knaur-Taschenbuch, Verlag; 2005. 268 Seiten.


SWR – Manfed Lütz iPod vom 2008-04-17

MANFRED LÜTZ – Gesundheitswahn

Zur Person: Manfred Lütz, geboren 1954, Studium der Humanmedizin, katholischen Theologie und Philosophie, 1979 Approbation als Arzt, danach Diplom in katholischer Theologie; 1989 Facharzt für Nervenheilkunde, 1991 Facharzt für Psychiatrie; seit 1997 Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln.


Wer sich von Manfred Lütz angesprochen fühlt, dem habe ich nachfolgend noch drei Interviews mit ihm bereitgestellt:

Manfred Lütz im Interview mit eMagazine:

«Auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot» oder «Weshalb soll eigentlich meine Lunge älter werden als ich?»

Manfred Lütz im Interview mit br-online:

«Ich hatte mich im Zusammenhang mit den Recherchen für mein Buch beim «Deutschen Fitneßstudioverband» erkundigt: Dabei kam heraus, daß im Jahr 2000 4,59 Millionen Deutsche Mitglied eines Fitneßstudios waren. 1980 waren es erst 100 000. Nach Angaben der deutschen Bischofskonferenz gibt es hingegen nur noch 4,42 Millionen Deutsche, die am Sonntag in die Messe gehen. Aus diesem Grund glaube ich in der Tat, daß im Jahr 2000 die Gesundheitsreligion zumindest die katholische Variante des Christentums, die ja hier in Bayern besonders bekannt ist, überholt hat.»

Manfred Lütz im Interview mit diepresse.com:

Bestsellerautor Lütz begrüßt, daß wieder öffentlich von Gott die Rede ist. Und sagt, warum Atheisten manchmal die Überzeugenderen sind.

Carolus Magnus

Freidenker, Rebell und Nonkonformist schreibt provokativ, konzis, unkonventionell und unmißverständlich über/gegen das grassierende, genußfeindliche, puritanische Weltbild in unserer Gesellschaft. Stilmittel: Satire, Provokation, Humor, Karikatur und knallharte Facts. Ein MultiMediaMagazin für Jeden.

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2 thoughts on “Warum soll meine Lunge älter werden als ich?

  1. Herzlichen Dank für diesen interessanten Beitrag. Ich habe Ihn mit sehr viel Aufmerksamkeit und Interesse gelesen. Kompliment!

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