Bevormundung inklusive

Scheinheiligkeit und Bevormundung

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Rauchen ist ungesund und Spenden für Unicef sind eine gute Sache. Doch in Deutschland sind Scheinheiligkeit und Bevormundung auf dem Vormarsch. Das verdirbt die Lust an milden Gaben und schürt das Verlangen nach Zigaretten.

Als ich Anfang September im Frankfurter Westin-Hotel eincheckte, bekam ich das übliche Pappmäppchen überreicht: Vorne drauf die mit Kugelschreiber gekritzelte Zimmernummer, innen drin der Zimmerschlüssel im Kreditkartenformat. Erst im Zimmer merkte ich, dass das Mäppchen neben der Schlüsselkarte auch noch einen kleinen blauen Zettel enthielt. Auf dem stand Folgendes:

«Jedes Jahr sterben in Entwicklungsländern Millionen Kinder, weil sie einer der sechs häufigsten Kinderkrankheiten zum Opfer fallen (…) Auch Sie können Unicef im Bestreben, mehr Kinder zu impfen, unterstützen. Wir hoffen, dass Sie damit einverstanden sind, dass wir Ihre Rechnung um einen Dollar erhöhen, den wir als Spende an Unicef weiterleiten. Wenn Sie keine Einwände haben wird dies automatisch erfolgen. (…) Wenn Sie sich nicht am Check-out for Children beteiligen möchten, informieren Sie bitte unser Personal an der Rezeption und die Spende wird umgehend von Ihrer Rechnung entfernt.»

Kennen Sie dieses Gefühl? Irgendetwas stört einen. Stört einen ungemein sogar, aber man kann nicht sagen, was es ist. Selbstverständlich habe ich nichts dagegen, dass mehr Kinder in der Dritten Welt geimpft werden. Und selbst wenn: Natürlich kommt es nicht infrage, am nächsten Morgen der rehäugigen Rezeptionistin gegenüberzutreten und zu sagen: Könnte ich über die Maki-Nigiri-Spa-Massage (95 Euro), den Roomservice (78 Euro) und das Pay-TV (15 Euro, aber das muss ein Irrtum sein, das hatte ich gar nicht) bitte separate Rechnungen haben? Ach ja, und den Dollar für Unicef, den ziehen Sie mal ganz schnell wieder ab! Ich musste als Kind meine Impfungen schließlich auch selbst bezahlen.

Nee, das geht nicht. Also habe ich den Dollar gezahlt. Ist ja eigentlich auch egal.

Was mich an der ganzen Sache so störte, merkte ich erst am nächsten Morgen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof. Zum ersten Mal sah ich eines der gelben Vierecke auf dem Bahnsteig. Jene paar Quadratmeter Ausnahmezone vom generellen Rauchverbot, das seit September in allen Zügen und Bahnanlagen herrscht. In der gelben Zone drängten sich die Raucher, der übrige Bahnsteig war nur mäßig gefüllt.

Der geschichtsbewusste Kollege, der mit mir auf Reisen war, blickte auf die leuchtend gelbe Umrandung und sagte spöttisch: «Zur Markierung von Minderheiten ist die Farbe ja traditionell gut geeignet.»

Liebe jüdische Gemeinde, bitte rufen Sie jetzt nicht meinen Chef an, um sich zu beschweren. In keinster Weise soll hier einer inhaltlichen Gleichsetzung von Raucherzone und Judenstern das Wort geredet werden. Es ging meinem Kollegen lediglich um eine farbliche ähnlichkeit.

Es gibt viele Rauchverbote. Die meisten dienen dem legitimen Zweck, jene Nichtraucher zu schützen, die dem Rauch nicht ausweichen können. Zum Beispiel in Flugzeugen, Büroräumen, Restaurants. Aber auf einem viele hundert Meter langen Bahnsteig, der zur einen Hälfte unter freiem Himmel liegt, zur anderen Hälfte unter einer Dutzende von Metern hohen Hallendecke, die noch vor wenigen Jahrzehnten klaglos den Rauch unzähliger Lokomotiven schluckte? Einer Umgebung also, in der jeder Nichtraucher jedem Raucher ausweichen kann, indem er einfach einen Schritt zur Seite macht – und umgekehrt?

Da geht es wohl um etwas anderes, und hier liegt auch die Verbindung zur Unicef-Zwangsspende: Offenbar sind wir in Deutschland inzwischen derart überzeugt davon, dass es schlecht ist, zu rauchen und gut ist, für Kinder in Entwicklungsländern zu spenden, dass es umgekehrt als akzeptabel gilt, all jene zu stigmatisieren, die sich diesem Komment nicht unterwerfen wollen. Der Unicef-Verweigerer muss sich in der Schlange an der Rezeption outen. Der Raucher muss sich in den tischtennisplattengroßen Gruppenpranger in der Bahnsteigmitte stellen.

Besonders interessant: Es handelt sich in beiden Fällen um Unternehmen, die ihre eigenen Kunden auf diese Weise bloßstellen. Sowohl Deutsche Bahn als auch Westin-Eigentümer Starwood Hotels nehmen sich damit eigentlich eine Unverschämtheit heraus: Sie bevormunden mich, den Kunden, in Bezug auf Dinge, die mit dem eigentlichen Produkt nichts zu tun haben.

Ein Beispiel, das offenbar Schule macht: Eine Bekannte erzählte mir, dass neulich auf einem Easyjet-Flug die Stewardessen durch die Reihen gingen, um für leukämiekranke Kinder zu sammeln. ähnlich wie im Hotel gilt: Es erfordert einige Charakterstärke, als Einziger in einer Dreiersitzreihe nichts zu spenden und stattdessen zu sagen: «Wo Sie gerade hier sind, ich nehm› noch so ein Piccolöchen.»

Besonders missfällt mir, dass die beteiligten Unternehmen auch noch einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Bevormundung ihrer Kunden ziehen. Wer möchte mit mir wetten, dass Easyjet und Starwood im nächsten Geschäftsbericht herzzerreißende Fotos drucken werden von kahlköpfigen kleinen Krebspatienten, die sich ein mattes Lächeln abringen. Beziehungsweise von afrikanischen Kindern, denen eine Krankenschwester die lebensrettende Injektion verabreicht.

Und beide Unternehmen können stolz darauf verweisen, dass im Rahmen der eigenen Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten im vergangenen Jahr soundso vielen Menschen geholfen wurde. So etwas ist Viagra fürs Firmenimage, und der Kunde zahlt. Die Bahn wiederum vermeidet den sachdienlichen Hinweis darauf, dass das flächendeckende Rauchverbot auf Bahnhöfen und die Abschaffung der Raucherabteile vor allem helfen, Reinigungs- und Instandhaltungskosten zu senken. Um die Hebung der Volksgesundheit dürfte es der Bahn höchstens in zweiter Linie gehen.

Bilde ich es mir nur ein, oder sind solche Formen der Scheinheiligkeit in Deutschland auf dem Vormarsch? Steigt tatsächlich die Bereitschaft, andere hinsichtlich ihres Lebensstils zu bevormunden oder sich bevormunden zu lassen?

Ich hoffe, mein Eindruck täuscht, denn ich möchte lieber in einem Land leben, in der sich Eisenbahnen, Fluglinien und Hotelketten darauf beschränken, mich von A nach B zu befördern und in B angemessen zu beherbergen. Womit ich meine Gesundheit ruiniere und wie sehr ich mich fürs Elend der Entwicklungsländer interessiere, das ist meine Privatsache.

Keine Frage, Zigaretten sind ungesund und Spenden für Unicef eine gute Sache. Aber nach meinen beiden Frankfurter Erlebnissen habe ich Lust bekommen, meine sporadischen milden Gaben einzustellen – und stattdessen das Rauchen anzufangen.

Christian Rickens – Manager-Magazin

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Carolus Magnus

Freidenker, Rebell und Nonkonformist schreibt provokativ, konzis, unkonventionell und unmißverständlich über/gegen das grassierende, genußfeindliche, puritanische Weltbild in unserer Gesellschaft. Stilmittel: Satire, Provokation, Humor, Karikatur und knallharte Facts. Ein MultiMediaMagazin für Jeden.

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2 thoughts on “Bevormundung inklusive

  1. Warum denn?

    a) assozial – warum?
    b) wo ist der Zusammenhang mit dem Shareholder Value?

    Bloss weil er seine urpersönliche Meinung von sich gibt? Dürfen heute Andersdenkende sich noch mitteilen, oder müssen sie in Zukunft erst von der (deiner?) Zensurbehörde ihre Gedanken und Meinungen, und um nichts anderes handelt es sich hier, überprüfen lassen?

    Falls ja. Dann Prost und ‹Heil Hitler›!

    Ist es das was du tatsächlich willst? Dein eigenes Denken dem Staat übergeben und nur noch dumm vor sich hindämmern? Das kann es doch nicht sein – oder doch?

    Deine Antwort interessiert mich echt und ich hoffe, dass du nicht einfach wieder ausweichen oder die Antwort schuldig bleibst, wie bisher.

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